Bericht und Foto: Stefanie Rösner, Waldeckische Landeszeitung
Herzhausen – Es heißt Augen anstatt August. Und wie das „ch“ bei „Dach“ und das „Sch“ bei Schere ausgesprochen werden, zeigt Maryna Kovalchuk den Schülerinnen und Schülern ihres Deutsch-Intensivkurses. An der Ederseeschule in Herzhausen unterrichtet sie Kinder aus der Ukraine, aus der Republik Moldau, aus Kasachstan und aus der Türkei.
Sie alle sind noch nicht lange in Deutschland, manche kamen kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Die Flüchtlingskinder hatten keinerlei Deutschkenntnisse. Ein Glücksfall für sie und für die Schule, dass Maryna Kovalchuk da ist. Die Psychologin und Lehrerin ist aus Charkiw vor dem Krieg geflohen. Mit einem Diplom in Deutsch und jahrelanger Berufserfahrung mit Kindern weiß sie, was zu tun ist: Die Jungen und Mädchen müssen Deutsch lernen, damit sie sich hier einfinden können. „Die Kinder passen sich schneller an und lernen schneller als Erwachsene“, sagt Maryna Kovalchuk.
Ein Vorteil bei all den Herausforderungen, die das Unterrichten dieser heterogenen Gruppe mit sich bringt. Einige der zwölf Schüler nehmen rege am Unterricht teil. „Sie sind sehr fleißig.“ Sie lesen Sätze, setzen Wörter ein, ordnen Wörter Bildern zu. Hund – Kuh – Sonne. Der Reihe nach muss jedes Kind etwas lesen. Dann fordert die Lehrerin einzelne Schüler auf, Verben zu konjugieren. „Ich mache, du machst“, und so weiter. Schwieriger wird es bei weiteren Verben. Verabschieden, einsteigen, umziehen. Trennbare Verben meistern die Kinder auch.
Sie erzählen von sich, nennen ihren Namen, ihre Lieblingsfarben, ihren Wohnort – Dorfitter, Marienhagen, Herzhausen, Basdorf, Vöhl. Ivan, Katharina, Nikita und ihre Mitschüler haben einige grundlegende Sätze ordentlich gelernt. „Meine Hobbys sind malen, tanzen, Gitarre spielen.“ „Mein Leibgericht ist Fast Food.“
Für manche reichen die Sprachkenntnisse schon aus, um am Regelunterricht in den Schulklassen teilnehmen zu können, zumindest stundenweise, erklärt der Schulleiter Erik Wohlfart-Schüßler. Sport, Kunst und Mathe etwa fällt den meisten deutlich leichter als die eher sprachbezogenen Fächer. „Aber das Ziel ist, dass sie auch an den Hauptfächern teilnehmen, damit sie den Schulabschluss erreichen.“
Lesen und schreiben lernen die meisten schneller als das Sprechen, weiß Maryna Kovalchuk aus eigener Erfahrung. Die meisten hätten zu Beginn Hemmungen, deutsche Kinder anzusprechen. Doch mittlerweile hätten einige solch große Fortschritte gemacht, dass sie mit den deutschen Kindern kommunizieren können. Vor allem die Grundschulkinder integrieren sich ihrer Erfahrung nach leicht. Sie gehen jetzt auf dem Schulhof auf andere zu und trauen sich zu fragen: „Hallo, wie geht es dir, wollen wir zusammen Fußball spielen?“ Erik Wohlfart-Schüßler sagt: „Integration ist eine Sache, die von zwei Seiten abhängt. Es geht nur über direkten Kontakt.“
Die Intensivklasse besteht aus zwölf Kindern im Alter von etwa sechs bis 15 Jahren, dies ändert sich mit Schulwechseln und Umzügen. An drei Vormittagen in der Woche lernen sie Deutsch. Alle haben einen Tabletcomputer erhalten, sagt der Schulleiter. Am Nachmittag nehmen viele der ukrainischen Schüler zusätzlich über das Internet am Unterricht ihrer heimischen Schule teil. „Die Kinder haben viele Aufgaben und viele Termine“, sagt Maryna Kovalchuk. Das lenke sie etwas von ihren Problemen ab, die durch Krieg und Flucht entstanden sind. Im Unterricht bekommt man nur eine kleine Ahnung von dem, was die Kinder durchmachen. Sie erzählen von ihren Haustieren, die sie nicht mit nach Deutschland nehmen konnten. Und vom Musizieren, ihrem Hobby. Die eine hat ein Instrument, die andere hat hier in Deutschland bislang keines, auf dem sie üben kann.
Emanuel, wie alt ist dein Vater? Ivan, wie heißt deine Schwester? Anna, wo lernt dein Bruder? Katharina, mit wem wohnst du in Deutschland? Die Lehrerin fragt, die Schüler bemühen sich zu antworten. Und immer schwingt da ein bedrückendes Gefühl mit. „Die Kinder wollen natürlich alle nach Hause“, sagt Maryna Kovalchuk.
„Aber wann ist der Krieg zu Ende? Wir wissen es nicht.“